Von Spieglitz auf den Schneeberg 2016


Ein Bericht von Bernhard Stahl

Meine Mutter, Anna Stahl, geborene Winkler, aus Spieglitz erzählte mir in meiner Kindheit viel von ihrer Heimat. Durch ihren frühen Tod im Jahr 1981 im Alter von 60 Jahren war es uns nicht vergönnt, gemeinsam in ihre alte Heimat zu fahren.
So kam ich 1983 mit mehreren Verwandten und 1988 mit meinem Onkel Joachim Winkler bisher zwei Mal nach Spieglitz. Als sich mir in 2016 wieder eine Fahrt in die östliche Tschechische Republik bot, zeigte ich meiner Ehefrau gerne die Heimat meiner Mutter.

Gleich hinter dem Ortseingangsschild schaut man auf das immer mehr verfallende alte Zollhaus. Die Brücke über die Graupa ist neu und breiter betoniert. Man sieht, dass schwere Holzabfahrten hier regelmäßig geschehen. Vom letzten Wohnhaus meiner Großeltern  und der Familie, der Wirtschaft in Nr. 2, stand schon vor 28 Jahren kein Stein mehr. Die Fläche verwildert immer mehr. Dafür findet man am Dorfeingang ein paar sehr schön renovierte Wohnhäuser.
In Nr. 4, dem Geburtshaus meiner Mutter, wohnt immer noch Stanzel Franz vom Urlich mit seiner Frau. Er ist trotz seiner 85 Jahre recht rüstig und bewirtschaftet den Blumengarten vor dem Haus und den großen Gemüsegarten hinter dem Haus. Sein jüngerer Bruder Hubert lebt im Pflegeheim. Bei meinem letzten Besuch lebte seine Mutter noch mit ihrem Sohn Josef im alten Pfarrhaus. Wenige Monate nach meinem Besuch damals ist sie gestorben und Stanzel Josef ist im Jahr 2006 gestorben. Beide sind auf dem Spieglitzer Friedhof beerdigt.
Der Sohn von Stanzel Josef möchte das Pfarrhaus gerne verkaufen.  Ein entsprechender Hinweis hängt im Fenster. Die alte Schule im Dorf sieht ordentlich renoviert aus. Hier ist heute eine Gaststätte.
Stanzel Franz pflegt den Friedhof, das Gras ist kurz gemäht. Jeden Morgen schließt er die Kirchentür auf. Davor hat er eine Drahttür gebaut, so dass man gut in die Kirche hineinschauen kann, Tiere aber nicht hinein können. So ist eine gute frische Luft in der Kirche, die innen sehr gut erhalten wirkt. Eucharistie wird nur noch einmal jährlich hier gefeiert, am Patrozinium Johannes des Täufers. Ansonsten fahren Stanzels und die wenigen Katholiken im Dorf sonntags nach Mähr. Altstadt zur Hl. Messe. Die meisten Häuser im Dorf werden als Ferienhäuser genutzt. Ein Rentner, der nun dauerhaft dort im Ferienhaus oberhalb der Kirche wohnt, zieht täglich die Kirchturm-Uhr auf, so dass diese genau die Zeit anzeigt.
Weiter oben im Dorf sieht man einige gut erhaltene Häuser aber leider auch einige sehr verfallene.
Auf unserem Weg hinauf zum Schneeberg erreichen wir oberhalb des Dorfes am Waldrand ein ganz neues Blockhaus. Ein tschechischer Unternehmer Tiefenbach hat hier für seine Familie ein schmuckes Ferienhaus gebaut mit herrlichem Blick über die Landschaft. Auch wenn bei weitem nicht mehr so viel Land wie früher bewirtschaftet ist, so sind doch noch große Flächen gemäht. Auf dem Urlich erkennen wir von hier aus vier Häuser, die wohl auch noch bewohnt sind und auch einige größere gemähte Wiesenflächen. Gegenüber seinem Blockhaus hat der Unternehmer einen schönen Stein mit einer Abbildung des Kaiser-Wilhelm-Turmes und dem davorstehenden Schutzhaus aufgestellt.
Wir folgen dem Wiesenweg am Waldrand entlang und steigen, der Empfehlung von Stanzel Franz folgend, ca. 300 Meter im Wald querfeldein aufwärts. Dort erreichen wir den breiten und gut gepflegten Wanderweg, über den auch der Europäische Fernwanderweg E 3 vom Schwarzen Meer bis zur Iberischen Halbinsel führt. Der Wanderweg ist jetzt hervorragend ausgeschildert und markiert.
Bereits nach wenigen Minuten erreichen wir die alte Kammkapelle. 1988 war diese eine Ruine. Heute ist sie sehr schön renoviert, mit gegenüberstehendem Wegkreuz von 1940 und einem, noch leeren Bildstock.




Hier sind wir bereits auf 897 Meter Höhe. Nun zieht sich der Weg lang durch den Wald, immer aufwärts. Es geht vorbei an der radioaktiven Adelheidsquelle, an der eine neue Schutzhütte errichtet ist. Im weiteren Wegverlauf berühren wir immer wieder die tschechisch – polnische Grenze, die aber nur mit Schildern und Grenzsteinen markiert ist und ohne Probleme überschritten werden kann. Im Jahr 1988 wäre dies noch undenkbar gewesen.
Größere Waldflächen sind bei Wirbelstürmen der vergangenen Jahre abgeholzt worden, wurden aber teilweise wieder neu angepflanzt. Hierdurch bieten sich immer wieder schöne Blicke ins Tal, auch nach Mähr. Altstadt. Je höher wir zum Gipfel kommen, desto mehr Wanderer kommen aus den unterschiedlichsten Richtungen. 1988 waren wir noch alleine hier unterwegs.
Als wir den Gipfel vor uns liegen sehen, passieren wir noch einen alten Betonbunker, in dem nicht mehr gebrauchte Absperrgitter vor sich hin rosten. Kurz danach erreichen wir die Marchquelle. Sie sprudelt unverändert, wie ich sie bereits 1988 gesehen habe.





Das letzte Stück Gipfelanstieg ist dann schnell gemacht und nach knapp vier Stunden gemütlichen Aufstiegs stehen wir am 30. August 2016 auf dem Spieglitzer (Glatzer) Schneeberg (1.424 m üNN). Viele Hinweisschilder und Wandermarkierungen empfangen uns. Die Grenzsteine markieren die Grenze, aber niemand interessiert sich dafür. Ein reges hin und her findet statt. 1988 war hier für uns Schluss. Heute können wir auf der polnischen Seite den Trümmerberg des früheren Aussichtsturmes, der 1973 gesprengt wurde, erklettern und genießen eine herrlich sonnige Aussicht rundum. In der Ferne erkennen wir gut den Muttergottesberg bei Grulich, den wir am gestrigen Tag besucht haben.





Beim letzten Besuch hatte ich mir gewünscht, vom Gipfel auf Spieglitz hinunterschauen zu können. Das blieb mir damals verwehrt, da diese Sicht nur von der polnischen Seite aus möglich ist. Jetzt gingen wir durch Heidesträucher, genossen von den hier oben noch reichlich vorhandenen Heidelbeeren und konnten gut hinunterschauen nach Spieglitz und zum gegenüber liegenden Urlich.



Nach einer gemütlichen Rast wählten wir für den Abstieg zunächst den Grenzweg und wechselten ständig zwischen den beiden Grenzseiten. Weiter unterhalb kamen wir wieder auf den Aufstiegsweg und folgten ihm bis hinunter nach Spieglitz. Einige letzte Fotos und eine kurze Unterhaltung mit Stanzel Franz folgten. Er erzählte uns u.a., dass es in den beiden letzten Wintern keinen nennenswerten Schnee mehr in Spieglitz gegeben habe. Seine Schneefräse sei nicht mehr zum Einsatz gekommen.



Die Pfarrkirche in Spieglitz



Ein altes Bild vom Altar aus dem Nachlass von Gunthild Nittner

Mit einem letzten Winken nahmen wir Abschied von Spieglitz und fuhren über Kunzendorf, wo die Kirche innen und außen frisch renoviert ist, hinauf zum alten Schlesierhaus am Titzhübel. Dieses Haus wird heute als Hotel und Restaurant geführt. Der danebenliegende Skilift, die Schneekanonen und das Speicherbecken zeugen von regem Winterskibetrieb. Der große Zeltbau, die kleine Kapelle mit Rosenbogen und die Bilder im Restaurant von den häufig stattfindenden Hochzeitsfeiern hier oben.
Wir genossen die herrlichen Blicke und das schöne Schlesierhaus bevor wir am nächsten Tag über Mähr. Altstadt und Olmütz wieder zur Rückfahrt starteten.

Bernhard Stahl, Bad Neuenahr-Ahrweiler